Raus aus dem Überlebensmodus: Dein somatischer Guide für innere Ruhe & Nervensystem-Regulation
Kennst du diesen Moment, in dem dein Nervensystem einfach nicht zur Ruhe kommt? Du sitzt am Küchentisch, vielleicht hast du dir gerade einen frischen Tee aufgebrüht. Draußen ist es schon dunkel und der Tag neigt sich dem Ende zu. Eigentlich ist alles gut. Die To-Do-Liste ist abgehakt, die Kinder schlafen oder sind versorgt, die Welt hält für einen Moment den Atem an. Eigentlich könntest du jetzt entspannen.
Aber in dir drin? Da rattert es weiter.
Dein Nervensystem schlägt immer noch Alarm
Dein Herz schlägt einen Takt zu schnell, als würde es auf einen Startschuss warten, der nie kommt. Dein Kiefer ist fest aufeinandergepresst, als müsstest du dich gegen einen unsichtbaren Sturm stemmen. Deine Gedanken kreisen wie aufgescheuchte Vögel um Sorgen, Termine und das diffuse Gefühl, nicht genug zu sein. Du bist körperlich anwesend, aber innerlich stehst du unter Hochspannung.
Du bist im Überlebensmodus.
In meiner Arbeit als Mentaltrainerin und Wegbegleiterin begegne ich so vielen wundervollen Frauen, die mir genau dieses Gefühl beschreiben. Sie funktionieren. Sie wuppen den Job, die Familie, den Haushalt und oft noch die Sorgen ihrer Freundinnen. Aber sie fühlen sich nicht mehr. Die Leichtigkeit, diese tiefe, satte Zufriedenheit, ist irgendwo zwischen Terminkalender, Perfektionismus und der Hektik des Alltags verloren gegangen.

Lange Zeit dachten wir, wir müssten nur unser „Mindset ändern“. Positiv denken. Affirmationen murmeln. Doch hast du schon mal versucht, einem panischen Körper, der glaubt, er stünde vor einem Säbelzahntiger, zu sagen: „Beruhig dich mal“? Genau. Das funktioniert nicht.
Heute lade ich dich auf eine Reise ein. Eine Reise weg vom Kopf, hinein in die Weisheit deines Körpers. Wir tauchen tief in das Thema ein, das mir persönlich als Mutter und Trainerin so sehr am Herzen liegt: Die Regulation deines Nervensystems.
Ich zeige dir, warum du nicht entspannen kannst. Warum dein Körper eigentlich nur versucht, dich zu beschützen. Und ich gebe dir drei kraftvolle, somatische Übungen (Somatic Hacks) für dein Nervensystem an die Hand, mit denen du deinen inneren Sicherheits-Schalter wieder sanft auf „Ruhe“ stellen kannst.
Mach es dir gemütlich. Nimm dir einen Moment Zeit für dich. Es ist Zeit, wieder bei dir anzukommen.
Warum Entspannung oftmals nicht funktioniert: Die Biologie deiner Angst
Wir leben in einer modernen Welt mit High-Speed-Internet, Smartphones und künstlicher Intelligenz. Aber unser biologisches System, unser Nervensystem, ist uralt. Es ist noch immer auf die Savanne programmiert. Seine oberste Priorität ist nicht dein Glück, deine Karriere oder deine Strandfigur. Seine oberste Priorität ist dein Überleben.
Unser autonomes Nervensystem scannt permanent – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche – unsere Umgebung nach Sicherheit oder Gefahr. Stephen Porges, ein brillanter Forscher, nennt diesen unbewussten Prozess Neurozeption.
Wenn dein System „Gefahr“ wittert, schaltet es in Millisekunden um. Und hier liegt das große Missverständnis unserer Zeit: Dein Körper unterscheidet nicht zwischen einem echten Tiger, der dich fressen will, und einer passiv-aggressiven E-Mail vom Chef mit dem Betreff „Dringend“.
Für dein Nervensystem ist die biochemische Reaktion oft identisch. Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin fluten dein System. Deine Muskeln spannen sich an. Deine Verdauung wird gedrosselt. Du bist bereit für den Kampf.
Und wenn wir diese massive Stress-Energie nicht entladen – so wie es Tiere in der Wildnis tun, indem sie rennen oder kämpfen, bleibt sie in unserem System stecken. Wir frieren ein. Wir leben dauerhaft im „Sympathikus“, dem Gaspedal unseres Nervensystems. Das Ergebnis? Wir brennen aus, obwohl wir doch „nur am Schreibtisch saßen“.
Die Landkarte deiner Gefühle: Die Polyvagal-Theorie einfach erklärt
Um zu verstehen, wie wir da wieder rauskommen, hilft uns die Polyvagal-Theorie. Sie ist wie eine Landkarte für unsere inneren Zustände. Stell dir dein Nervensystem wie eine Ampel vor, die drei Farben hat:
| Zustand (Farbe) | Nervenbahn | Wie es sich anfühlt (Symptome) | Deine innere Wahrheit |
| 🟢 GRÜN: Sicherheit | Ventraler Vagus | Verbundenheit, Ruhe, Kreativität, Neugier, guter Schlaf, soziale Lust. | „Ich bin sicher. Ich bin geliebt. Die Welt ist ein freundlicher Ort.“ |
| 🟡 GELB: Mobilisierung | Sympathikus | Unruhe, Angst, Herzrasen, „Ich muss noch schnell…“, Reizbarkeit, Fokus auf Probleme. | „Ich bin in Gefahr. Ich muss etwas tun. Ich darf nicht anhalten.“ |
| 🔴 ROT: Erstarrung | Dorsaler Vagus | Erschöpfung, Depression, Taubheit, Dissoziation, Nebel im Kopf, „Ich kann nicht mehr“. | „Ich bin hilflos. Es hat keinen Zweck. Ich verschwinde.“ |
Viele meiner Klientinnen – und vielleicht kennst du das auch von dir – pendeln jahrelang nur zwischen Gelb (Stress, Machen, Tun) und Rot (Erschöpfung, Netflix-Koma, Burnout). Der grüne Bereich, dieser Zustand von echter innerer Ruhe, Urvertrauen und Social Engagement, ist wie ein fremdes Land geworden, dessen Sprache wir verlernt haben.
Die gute Nachricht ist: Dein Nervensystem ist plastisch. Es ist lernfähig. Du kannst den Weg zurück nach „Grün“ wieder bahnen. Nicht durch noch mehr Denken oder Analysieren. Sondern durch Fühlen. Durch den Körper. Das nennen wir Somatisches Training.
Der Paradigmenwechsel: Vom Kopf in den Körper – eine Wohltat für dein Nervensystem
Warum reden plötzlich alle auf Instagram, YouTube und Co über Somatics, Vagusnerv und Nervensystem-Regulation? Weil wir kollektiv spüren, dass wir an einer Grenze angekommen sind.
Die Studienlage ist eindeutig: Trotz Yoga-Apps und Achtsamkeitstrends fühlen sich die Menschen in Deutschland und Österreich gestresster denn je. Wir haben verstanden, dass wir unsere Traumata und unseren Stress nicht „wegdenken“ können. Talk Therapy (Gesprächstherapie) ist unglaublich wertvoll, aber sie erreicht oft nicht die tiefen, stummen Schichten unseres Stammhirns, wo die Angst sitzt.
Hier setzen somatische (körperorientierte) Methoden an. Sie arbeiten „Bottom-Up“ – von unten nach oben. Wir signalisieren dem Körper Sicherheit, und der Körper meldet dem Gehirn: „Du kannst jetzt die Waffen senken. Wir sind sicher.“
Ich möchte dir heute meine drei liebsten Somatic Hacks vorstellen. Es sind Werkzeuge, die ich selbst fast täglich nutze. Sie kosten nichts, brauchen (fast) keine Zeit und du hast alles, was du dafür brauchst, immer bei dir.
Somatic Hack #1: Shake it off – Die Kraft des neurogenen Zitterns
Hast du schon mal eine Dokumentation über Tiere in der Wildnis gesehen? Stell dir eine Antilope vor, die gerade so einem Löwen entkommen ist. Sie war im absoluten Hochstress, im Todeskampf. Was macht sie, sobald sie in Sicherheit ist? Legt sie sich hin? Nein. Sie zittert.
Sie schüttelt sich am ganzen Körper, oft minutenlang und heftig. Warum tut sie das? Um die massive Ladung an Adrenalin und Cortisol, die für die Flucht bereitgestellt wurde, physikalisch „abzuschütteln“ und zu entladen. Danach atmet sie tief durch und grast friedlich weiter, als wäre nichts passiert. Sie hat das Trauma nicht gespeichert.
Wir Menschen haben diesen Mechanismus auch – wir nennen ihn neurogenes Zittern. Aber wir haben ihn uns abtrainiert. Wenn wir zittrige Hände vor einem Vortrag haben oder uns nach einem Schreck die Knie schlottern, versuchen wir sofort, es zu unterdrücken. „Reiß dich zusammen“, „Haltung bewahren“. Wir schlucken das Zittern runter. Und damit schlucken wir den Stress zurück in unser Gewebe, in unsere Faszien, in unseren Psoas-Muskel (den „Seelenmuskel“).
Die Übung: Somatic Shaking (Anleitung)
Dies ist meine absolute Lieblingsübung, wenn ich merke, dass mir alles zu viel wird, wenn ich mich festgefahren fühle oder abends den Stress des Tages nicht mit ins Bett nehmen will.
- Das Setup: Stell dich hüftbreit hin, die Füße fest auf dem Boden. Mach dir gerne deine Lieblingsmusik an – etwas Rhythmisches, Wildes, z.B. Trommeln oder „Shake it Out“ von Florence + The Machine (mein Favorit!).
- Der Start: Beginne, leicht in den Knien zu wippen. Lass die Knie weich federn, nicht beugen, sondern bouncen.
- Das Schütteln: Lass dieses Wippen in den ganzen Körper aufsteigen. Schüttle die Hände, als hättest du Wasser an den Fingern. Schüttle die Arme, die Schultern. Lass den Kopf sanft mitwackeln (Vorsicht beim Nacken!).
- Lass los: Ganz wichtig: Lass den Kiefer locker! Öffne den Mund leicht. Töne gerne dabei – ein tiefes Seufzen, ein „Haaaaa“, oder ein Summen. Wenn der Kiefer fest ist, ist das Becken fest. Lass beides los.
- Intensität: Mach das für 1 bis 3 Minuten. Es darf wild aussehen. Es darf sich „komisch“ anfühlen. Stell dir vor, du schüttelst grauen Staub, alte Sorgen und fremde Energien von deiner Seele ab. Schüttle die Angst aus den Zellen.
- Das Nachspüren: Stoppe abrupt. Bleib stehen oder leg dich sofort auf den Boden. Schließ die Augen. Spürst du das Kribbeln in den Händen? Die Wärme, die durch die Beine strömt? Das ist Lebendigkeit. Das ist Energie, die wieder fließt.
Somatic Hack #2: Der „Reset-Knopf“ – Vagus-Massage & Physiologisches Seufzen
Wusstest du, dass ein Teil deines Vagusnervs – unseres großen „Ruhenervs“ – direkt durch dein Ohr verläuft? Die Natur hat uns quasi einen Reset-Knopf an die Außenseite unseres Kopfes gebaut.
In einer Zeit, in der Hightech-Geräte zur Vagus-Stimulation den Markt fluten, bin ich immer wieder fasziniert davon, dass wir die besten Werkzeuge buchstäblich „in der Hand“ haben. Diese kleine Massage ist mein Geheimtipp, wenn ich merke, dass ich im Stau stehe oder kurz vor einem schwierigen Gespräch Herzklopfen bekomme.
Anleitung zur Vagus-Ohrmassage:
- Nimm deinen Zeigefinger.
- Lege ihn in die Mulde oberhalb deines Gehörgangs (die sogenannte Cymba Concha).
- Massiere diesen Bereich sanft mit leichtem Druck in kreisenden Bewegungen.
- Gleichzeitig: Atme tief und bewusst in den Bauch.
- Wandere dann mit dem Finger hinter dein Ohrläppchen, dort wo der Kieferknochen endet und der weiche Bereich beginnt. Massiere auch hier sanft.
- Der Effekt: Nach 1-2 Minuten wirst du vielleicht merken, dass du gähnen musst, schlucken möchtest oder dass dein Bauch anfängt zu gluckern. Das sind die klassischen, wunderbaren Zeichen dafür, dass dein Parasympathikus (der Ruhe-Modus) anspringt und die Verdauung und Entspannung wieder aktiviert.
Mein Pro-Tipp: Kombiniere die Massage mit dem „Physiologischen Seufzer“. Das ist laut Neurowissenschaftlern der Universität Stanford der effektivste Atemzug, um Stress in Echtzeit zu senken.
So geht’s: Atme zweimal kurz hintereinander tief durch die Nase ein (das erste Mal füllt die Lungen, das zweite Mal öffnet die kleinen Lungenbläschen). Dann atme ganz lang, langsam und vollständig durch den Mund aus (als würdest du durch einen Strohhalm pusten). Wiederhole das 3-5 Mal. Es wirkt Wunder.
Somatic Hack #3: Analoge Anker – Sicherheit zum Anfassen
Manchmal ist der Kopf so laut, dass wir nicht in die Übung finden. Manchmal sind wir so sehr im „Funktionsmodus“, dass wir vergessen zu atmen. In solchen Momenten brauchen wir Hilfe von außen. Wir brauchen etwas Haptisches, das uns erdet.
Der Trend geht ganz stark zurück zum Analogen. Wir sehnen uns nach Dingen, die wir anfassen können, die uns Gewicht und Struktur geben. Hier sind meine drei liebsten „Analogen Anker“, die mir helfen, mein Nervensystem zu co-regulieren.
1. Die Magie der Schwere: Gewichtsdecken
Hast du schon mal unter einer Gewichtsdecke (auch Therapiedecke genannt) gelegen? Wenn nicht, stell dir vor, du wirst fest und liebevoll umarmt. Durch das Gewicht (ca. 10% deines Körpergewichts) wird ein Prozess namens „Deep Pressure Stimulation“ ausgelöst. Dein Körper schüttet Serotonin (Glückshormon) und Melatonin (Schlafhormon) aus, während der Cortisolspiegel sinkt.
Ich nutze meine besonders im Herbst und Winter, wenn die Stürme ums Haus ziehen. Ich lege mich darunter und spüre fast augenblicklich, wie mein System „runterfährt“. Es gibt mir dieses tiefe Urvertrauen zurück, gehalten zu werden. HIER geht es zu meiner Gewichtsdecke.*
2. Schmerz als Heiler: Die Akupressurmatte
Ein weiterer Begleiter, den ich nicht mehr missen möchte, ist meine Akupressurmatte (meine ist von ShaktiMat*). Ich gebe zu: Beim ersten Mal dachte ich „Autsch!“. Tausende kleiner Spitzen drücken in den Rücken. Aber genau das ist der Trick. Der Körper reagiert auf den intensiven Reiz mit einer massiven Durchblutung und der Ausschüttung von Endorphinen und Oxytocin.

Nach etwa 3-5 Minuten verwandelt sich der Pieks in eine tiefe, wohlige Wärme, die sich im ganzen Rücken ausbreitet. Für mich ist das „Meditation für Ungeduldige“. Du musst nichts tun, außer liegen, atmen und dich dem Gefühl hingeben. Oft schlafe ich darauf sogar ein.
3. Worte für die Seele: Kartensets
In Momenten der Überforderung fehlen mir oft die richtigen Worte, um mich selbst zu beruhigen. Mein innerer Kritiker ist dann viel lauter als meine innere beste Freundin. Deshalb habe ich immer ein Kartenset griffbereit auf meinem Schreibtisch liegen.
Besonders berührt hat mich zuletzt das Set „Sich(er) fühlen“ von Kathleen Kunze*. Es sind kleine, liebevolle Anker im Alltag. Ich ziehe morgens eine Karte und lasse den Impuls wirken. Sätze wie „Du bist sicher im Hier und Jetzt“ oder kleine Übungen helfen mir, den Fokus immer wieder sanft zurück zu mir zu lenken. Es ist, als hätte man einen kleinen Coach in der Tasche.
Fazit: Dein Weg zurück zu dir und zu einem regulierten Nervensystem
Nervensystem-Regulation ist kein weiteres To-Do auf deiner endlosen Liste. Es ist kein neues Optimierungsprojekt, bei dem du „gut abschneiden“ musst.
Es ist ein Akt der radikalen Selbstliebe.
Es bedeutet, deinem Körper wieder zuzuhören, wenn er leise „Stopp“ flüstert, bevor er laut „Stopp“ schreien muss (durch Krankheit oder Burnout). Es bedeutet, die goldene Stunde nicht nur mit den Augen zu sehen, sondern sie im Herzen zu fühlen. Es bedeutet, anzuerkennen, dass du ein menschliches Wesen bist, kein Roboter.
Du musst das nicht alles auf einmal machen. Fang klein an. Einmal Schütteln am Morgen, während der Kaffee durchläuft. Einmal tiefes Ausatmen an der roten Ampel. Einmal Hand aufs Herz legen, wenn die Kinder schreien.
Du darfst weich werden. Du darfst loslassen. Du darfst dich sicher fühlen.
In meiner Zeit in Innsbruck, zwischen den hohen Bergen, habe ich eines gelernt: Der Frieden, den wir so verzweifelt im Außen suchen, beginnt immer mit der Ruhe in unseren eigenen Nervenbahnen. Wenn wir in uns sicher sind, wird die Welt um uns herum ein kleines bisschen weicher.
Wie geht es deinem Nervensystem heute? Fühlst du dich eher grün, gelb oder rot? Schreib mir gerne in die Kommentare oder komm in meine Community auf Instagram. Wir gehen diesen Herzensweg gemeinsam.
Von Herz zu Herz, deine Charlotte
*Transparenz: Dieser Artikel enthält Herzens-Empfehlungen (sogenannte Affiliate-Links). Wenn du über diese Links etwas für dich kaufst, unterstützt du meine Arbeit mit einer kleinen Provision, ohne dass es für dich auch nur einen Cent teurer wird. Ich empfehle nur, was ich selbst nutze und liebe.
PS: Dein Nervensystem liebt die Kombination aus Meditation & Schreiben. Aus diesem Grund habe ich einen Mini-Kurs dazu erstellt. Einmal buchen und jederzeit wiederholen, wann immer du das Gefühl hast, das würde mir jetzt gut tun.
